Als Überblick - weitgehend auch für die Schweiz gültig:
RGG³ I, "Buß- und Bettage" (K.Dienst) Sp. 1539-41; 1957 (also leicht veraltet):
"B. oder ähnliches sind in allen Religionen festzustellen. Insbesondere ist an die B. im AT (z.B. 1 Kön 21, 8; Jer 3, 21 f und anderwärts) zu erinnern. Für die christlichen B. waren Einflüsse aus dem römischen Heidentum entscheidend. Dort finden wir trotz des Fehlens eigentlicher Bußgesinnung besondere Sühnetage (feriae piaculares), die in Kriegs- und anderen Notzeiten vom Staatsoberhaupt angeordnet wurden.
Nach dem Eindringen des römischen Rechtes in die deutschen Lande setzten auch hier Kaiser und Landesobrigkeiten B. fest.
Die mittelalterliche Kirche kannte zwei Arten von B.n.- besondere B., die kasuell und ohne Zusammenhang mit dem Kirchenjahr von der Obrigkeit, nicht von der Kirche, angeordnet wurden, und die kirchlicher Ordnung entstammenden (ebenfalls aus dem römischen Heidentum kommenden) Quatembertage, regelmäßige Fasttage mit Bußcharakter; sie lagen jeweils am Beginn der vier Jahreszeiten.
Die B. der ev. Kirche, auch einfach Buß-, Bet- oder Fasttage genannt, führen beides fort. Sie stellen also keine Neuschöpfungen dar. Bei vermehrtem Einfluß des römischen Rechtes und steigender fürstlicher Gewalt wurden vor allem die kasuellen B. weitergeführt.
Derartige außerordentliche B. sind bereits in der reformatio Hassiae 1526 und im Lüneburger Edikt 1527 für Fälle allgemeiner Not vorgesehen.
Der erste ev. Bettag wurde 1532 in Straßburg im Zusammenhang mi einer Anordnung des Kaisers - Gebet gegen die Türken - gefeiert. Auch in Augsburg und in Ulm fand im gleichen Jahr ein B. statt.
Später gaben der Schmalkaldische Krieg und andere Wirren Anlaß zu solchen B.n.
Die ordentlichen B. als eine regelmäßig wiederkehrende Einrichtung (vierteljährliche, monatliche, wöchentliche B.) gehen auf Bucer zurück.
Kirchenregimentlich angeordnet waren sie zuerst in der KO von Hessen-Kassel 1539 und in der »Kölner Reformation« 1543, drangen dann aber auch in andere (vorwiegend süddeutsche) KOen ein (wichtig: Württemberger KO 1553).
Bereits 1546 fand in Frankfurt/M. mittwochs die »Vermahnung zum Gebet« statt (Predigtgottesdienst mit erweitertem Gemeinen Gebet).
Für den B. wählte man oft einen der alten Stationstage (Mittwoch oder Freitag). Aber auch andere Tage sind belegt (zB Sonntag und Dienstag: Straßburg).
Die Anzahl der B. ist in den einzelnen Territorien verschieden.
Arbeitsruhe (bei den wöchentlichen B.n nur während der Gottesdienste) und (zuweilen) Fasten zeichnen den Tag aus.
Auch in den luth. Kirchengebieten Nord- und Mitteldeutschlands begegnet der B. von Anfang an; die These Kliefoths, er sei aus reformiert beeinflußten Ländern in die luth. Territorien eingedrungen, ist abwegig.
Im Norden knüpft der B. teilweise an die Quatember an (zB Brandenburg). Ihr Vorbild ist in der Vierzahl der B. deutlich zu erkennen.
Andere Ordnungen geben den Stationstagen bußtagartiges Gepräge. So ordnet zB die sächsische KO von 1539 für den Mittwoch oder Freitag die Litanei an. Preußen 1568 gebraucht hier die Bezeichnung »Gebettag« oder »Bettag«, Lübeck den Aus- druck »Betmesse«. Oldenburg 1573 kennt noch eine monatliche »Bußpredigt«. Außerdem finden wir in diesen Gebieten auch kasuelle B.
In den Notzeiten des Dreißigjährigen Krieges treten die für ein ganzes Territorium bestimmten »Landesbußtage« in den Vordergrund. Sie entwickeln vor allem die kasuellen B. weiter. Ihre Zahl wurde stark vermehrt. Da jede Obrigkeit die B. verschieden festsetzte, kam eine große Mannigfaltigkeit der Termine zustande. Noch 1878 gab es in 28 deutschen Ländern 47 verschiedene B. an 24 verschiedenen Tagen. Doch war schon im 18.Jh. die Anzahl der B. verringert und damit eine Entwicklung angebahnt worden, deren Ergebnis ein jährlicher B. war.
Ins 19. Jh.. fallen die Bestrebungen, einen festen Termin eines solchen B.s für die ev. Kirche Deutschlands zu finden. Die Eisenacher Konferenz schlug 1852 den Mittwoch vor dem letzten Sonntag des Kirchenjahres vor. Während sich die nord- und mitteldeutschen Landeskirchen 1893 dieser Regelung anschlossen, setzte sich in Süddeutschland dieser Termin erst im 20.Jh. durch.
Der B. ist in allen deutschen Ländern staatsrechtlich geschützt.
Daneben gelten in verschiedenen Landeskirchen noch andere Tage als B.: zB Estomihi (B. vor den Fasten in Mecklenburg), Mittwoch nach Reminiscere (Ev.-Luth. Kirche Sachsens), Karfreitag (Mecklenburg) und der erste Sonntag nach Johannis (z.B. vor der Ernte in Mecklenburg).
Eine theologische Beurteilung des B.s darf nicht übersehen, daß der alte "Landesbußtag" eine enge Verbindung von Staat und Kirche voraussetzte.
Um die »Landeswohlfahrt« besorgte weltliche Obrigkeiten ordneten kraft der ihnen von Gott verliehenen Macht solche Staatsfeiertage an, die dann kirchlich zu begehen waren.
Dieses Verständnis einer »christlichen Obrigkeit« ist dem religiös neutralen Staat fremd. Er hat die Kirche aus den alten Bindungen entlassen (Abschaffung der Staatskirche).
Mit dem Jahr 1919 wurde so in Deutschland (verfassungsrechtlich) eine Entwicklung angebahnt, die uns einen direkten Anschluß an die alten B. verbietet. Auch unsere heutigen theologischen Erkenntnisse verlangen eine Neubesinnung.
Wir haben davon auszugehen, daß der B. ein rein kirchlicher Tag geworden ist. Dies bedeutet aber keineswegs einen Verzicht auf seine Öffentlichkeitsbedeutung. Die Kirche hat vielmehr der Welt, die stets in der Gefahr ist, des [sic] Gebotes Gottes zu vergessen, die Botschaft auszurichten, daß auch das völkische [sic] und staatliche Leben in der Verantwortung vor Gott steht. Gerade der B. hat die Kirche immer wieder an diesen Dienst gegenüber Volk und Staat zu erinnern. Es entspricht dem Willen Gottes, wenn die Sünde auch in aller Öffentlichkeit Sünde genannt und die Botschaft von der »frohen Befreiung aus den gottlosen Bindungen der Welt« unerschrocken verkündet wird. Demnach hat der B. theologisch einen dreifachen Charakter:
a) Er ist ein Tag fürbittenden Eintretens der Kirche für die Schuld unseres Volkes vor Gott.
b) Am B. soll die Kirche in besonderer Weise ihr Wächteramt den öffentlichen Sünden unserer Zeit gegenüber ausüben.
c) Der B. ist ein Tag der Gewissensprüfung für den einzelnen vor Gott; denn auch der einzelne Christ hat für den Willen Gottes in seinem Volk zu wirken.
Da die Kirche Jesu Christi stets Kirche in der Welt ist, so gilt die Botschaft des B.s auch für sie. Jede pharisäische Überheblichkeit und klerikale Haltung von Pfarrer und Gemeinde der »Welt« gegenüber muß gerade am B. ausgeschlossen sein.
Liturgisch: In der mittelalterlichen Kirche kannte man keine besonderen Formen für den B. Die reformatorischen Bußtagsordnungen waren verschieden.
Wurde in älterer Zeit die Ordnung der Hore oder Betstunde gewählt, so traten später zwei Möglichkeiten liturgischer Gestaltung des. B.s in den Vordergrund:
a) Der Anschluß an die Formen des sonntäglichen Hauptgottesdienstes, die des öfteren durch Einlagen (zB Litanei) oder Kürzungen dem Tagescharakter angepaßt wurden. Dieses Verfahren ist jedoch ungeeignet. Die Formen des Sonntagsgottesdienstes sollen dem Sonntag und den Freudenfesten vorbehalten bleiben.
b) Die Entwicklung eigenständiger Formen für den B. Sie bringen in ihrer Schlichtheit den Tagescharakter am besten zum Ausdruck. Solche besonderen Bußtagsordnungen bestehen in Hannover, Schaumburg-Lippe, Braunschweig, Sachsen und Kurhessen. Die "Agende für Ev.-Luth. Kirchen und Gemeinden" sieht ebenfalls eine eigene (fakultative) Ordnung für den B. vor (Einfache Form mit Preces, Offener Schuld und Litanei). Auch andere Agenden zeigen dies Verfahren."