Im Übergang zur Romantik
Der Tod wurde individualisiert und personalisiert und mit Empfindsamkeit und Einfühlung wahrgenommen: der eigene und erst recht der des anderen. - Man begann, Grabinschriften zu sammeln und unter der reformierten Dürre und "Unsinnlichkeit" zu leiden. - Grabmäler wurden wieder erlaubt und in der neuen Friedhofkultur sogar gefördert: Statt als 'memento mori' einzuschüchtern sollten sie Wehmut und Versöhnung ausdrücken.
Statt des Totengerippes vermittelt der sanfte Engel des Todes (Lessing) diese harmonischen Gedanken.
Die Religion und das Schöne werden versöhnt, - zunächst durch harmonische Gartenanlagen: Der nüchterne "Gottesacker" wird zum beruhigenden Park und Garten (heute z.B. im "Friedwald"- Projekt, das bereits von verschiedenen Gemeinden aufgenommen wurde) - Naturverehrung als Religionsersatz?
Aber schon die Herrnhuter Brüdergemeine hatten von ihrem ganz anderen - theologischen - Ansatz her 1730 den Friedhof als "friedlichen Garten des Herrn", ohne eigentliche Grabdenkmäler, konzipiert ( - und damit in den angelsächsischen Raum ausgestrahlt).
Alte Bräuche wurden Ende des 19. Jhd. abgeschafft:
Die Leichenbitterin ("Chilchgangsängeri"), die durch lautes Rufen jeweils die Beerdigung ankündigte, wurde als "Totenhenne" verspottet und durch Todesanzeigen in den Zeitungen ersetzt.
Statt Sargträgern werden Leichenwagen eingeführt.
Frauen werden vorübergehend wegen der "Grausamkeit" von der Teilnahme an Begräbnissen ausgeschlossen, dann aber wieder zugelassen, "weil doch gerade die Frauen für Pietätsangelegenheiten wie geschaffen" seien.
Das Leichenmal hielt sich - samt seinen Auswüchsen und trotz der Widerstände der Pfarrerschaft und der Reglementierungs-Versuche der "Sittenmandate".
- Aus der Westschweiz wird erzählt: "Weil es hoch herging beim Leichenmal (dort vor der Beerdigung) und es eng wurde in der Stube, stellte man den Sarg aufrecht ...; später hiess es: 'Nur der Tote stand noch aufrecht!' ..." -
Aber das Leidmahl erfüllt eine zentral wichtige Funktion: Gemeinschaft zu stiften, sich der lebenden Vertrauten zu versichern, Erinnerung zu ermöglichen, Trauer zu äussern - und den Weg zurück ins Leben zu finden!
Die Bräuche halten sich bis ins 21. Jhd.:
Mündliches Zeugnis vom Nordrand des Kt. ZH (2008):
"In E. macht man ja noch das letzte Geleit: Der Verstorbene wird vor dem Haus aufgebahrt und danach geht es durchs Dorf in den Friedhof - alle schön hintereinander. Das finde ich einen schönen Brauch. - Es ist wirklich das Gefühl von "den Verstorbenen auf seinem letzten Weg zu begleiten"! Im übrigen gehört auch dazu, dass man sich vorher in der Stube des Verstorbenen trifft, dort wird Kuchen, Kaffee und eigentlich Wein ausgeschenkt! Nur diesmal fand eine Tante, dass es sich doch nicht so gehört mit dem Wein! Bei meinem Grossvater hatte Grossmutter noch das Sagen, da gab es Wein schon vorher. -
Dann kommt jeder und schaut noch in den Sarg - die Leute strömen von allen Seiten herbei. Dann sagt der Pfarrer ein paar Worte, - dann warten, bis die Glocken tönen, und dann das Geleit und ein paar Worte beim Friedhof, wofür die Strasse extra gesperrt wird, und dann gehts ins Schuelhüsli zur Abdankung und danach ans Leidmahl (as Liichemöhli) ins Restaurant ...!"
Die Feuerbestattung kommt ab Mitte des 19. Jhd.s auf und ist zunächst leidenschaftlich umstritten. - Die Befürworter fochten teils mit rational-naturwissenschaftlichen Argumenten, teils freidenkerisch-ideologisch ("antikisch"), - die Gegner eher konservativ und gefühlsmässig, scheinbar "biblisch":
Hygiene und "Reinheit" versus Bibeltreue und "Schlaf zur leiblichen Auferweckung".
Ein Zürcher stiftete eine große Summe für den Bau des ersten Krematoriums in Mailand; da er zwei Jahre vor dessen Fertigstellung starb, wurde sein Leichnam einbalsamiert, bis mit seiner Einäscherung 1876 das Krematorium eingeweiht werden konnte.
1874 bewirkte in Zürich die Schrift von J. Wegmann, in der er auch ein Columbarium (römische Urnengalerie, nach den "Taubenschlägen" benannt) als Urnenstätte vorsah, dass die Stimmbürger dem Bau eines Krematoriums zustimmten. 1889 wurde es im Sihlfeld eröffnet. - Die Idee der Columbarien blieb bis ins 20. Jhd. hinein umstritten. Heute sind sie als "Urnennischen" überall üblich.
Auch bei Kremationen wirkten reformierterseits in 94% der Fälle Pfarrer mit - entgegen der anfänglichen Befürchtung, Feuerbestattungen würden vor allem von Freidenkern gewünscht. - (Für die Katholische Kirche blieben Kremationen allerdings bis 1963 undenkbar).
Erst nach 1905 wurden die reformierten Abdankungen ausführlicher, mit persönlicher Leichenpredigt.
"Stille" Beerdigungen (ohne Beteiligung der Kirche und der Öffentlichkeit) gab es im Kanton Zürich bis in die 1980er Jahre kaum; seitdem nehmen sie entsprechend der steigenden Entkirchlichung zwar zu, aber doch weniger stark als anzunehmen wäre (vgl. "Beerdigung").