Biographie
Was nirgends erwähnt wird:
Ein Vorfahre war wohl Ludwig Lavater (1527-1586) bautz.de/bbkl/l/lavater_l, kurze Zeit Antistes (Vorsteher) der Zürcher Kirche - was J.C.Lavater zu seinem Leidwesen verwehrt blieb! -, ein Sohn des damaligen Kyburger Landvogts Hans Rudolf Lavater, und Heinrich Bullinger's Schwiegersohn. Bekannt und unrühmlich wirksam wurde er durch seine sehr verbreitete Schrift "Von Gespenstern, ungeheuren Fällen und anderen wunderbaren Dingen, die meistens beim Sterben von Menschen geschehen, oder wenn sonst grosse Sachen und Änderungen bevorstehen" (1563). - Ein Vorschein auf J.C.Lavater's Faszination vom "Esoterischen"?
Am 3. Juni 1766 heiratete Lavater Anna Schinz im Kirchlein von Greifensee; mit ihr hatte er acht Kinder...
Vortrag von Grossmünster-Pfarrer Dr. Hans Stickelberger (+ 2004) zum 200. Todestag von Johann Caspar Lavater, am 2. Januar 2001 in der Kirche St. Peter
DER HOFFER DES SELTEN GEHOFFTEN
Meine Damen und Herren
"Der Hoffer des selten Gehofften". Kaum ein anderer Text könnte diese Selbstbezeichnung besser illustrieren, als das letzte grosse Gedicht, das Lavater der Zürcherischen Jugend zum neuen Jahrhundert 1801 als Neujahrsblatt widmete. Einen Tag nach dem Erscheinen, heute vor zweihundert Jahren, starb er. Die erste und letzte Strophe dieses Gedichtes machen uns verständlich, was mit diesem "selten" gemeint ist:
"Wie? darf ich meinen Blick erheben?
Soll ich mit Freuden, oder Beben
Beginnen, o Jahrhundert, dich?
Des Hoffens müde, darf ich's wagen,
Von Hoffnung noch Ein Wort zu sagen?
Wer lehret echte Weisheit mich?"
Galgen an der Haustüre
"Des Hoffens müde". Dieser Seufzer bezieht sich auf das letzte Lebensjahrzehnt Lavaters. Die revolutionären Umwälzungen in Frankreich hatten auch der Schweiz politische Veränderungen gebracht. Lavater, der sich in jüngeren Jahren mit den "Aussichten in die Ewigkeit" beschäftigte, wurde durch die Umstände gezwungen, sich auch über irdische Aussichten zu äussern. Mit grosser Sprachgewalt hat er sich eingemischt in die Zeitereignisse, in Gedichten, in Predigten, in Briefen ans Helvetische Direktorium und an die "Grande Nation".
Er gehörte nicht zu den Pfarrern, die es den Leuten recht machten? Er machte es ihnen ÜBERHAUPT NICHT recht! Dieser zarte, immer ein wenig kränkelnde Mann schuf sich Feinde. Einmal wurde ihm ein Galgen an die Haustüre gemalt, und im Mai 1799 wurde er während eines Kuraufenthaltes in Baden verhaftet und zum Verhör nach Basel deportiert. Er äusserte auch einmal die Ahnung, er könnte auf der Kanzel von einer französischen Kugel getroffen werden.
Reich Gottes
Am Ende seines Lebens war er des Hoffens müde. Seine Friedensappelle hatten nichts genützt, die Schweiz hatte ihre Freiheit verloren. Trotzdem schliesst das Gedicht mit einer Hoffnung:
"Reich Gottes! Sehnsucht aller Frommen!
Wirst du mit dem Jahrhundert kommen?
O fleh: "Es komm!" wer flehen kann.
Ihm weiche Laster, Wahn und Leiden
Es kommt mit gränzenlosen Freuden
Macht ihm, durch fromme Demuth, Bahn!"
"Reich Gottes". Früher sprach Lavater vom tausendjährigen Reich, jetzt nennt er es Reich Gottes. Interessant ist, wie sich - trotz der Enttäuschung durch die Geschichte - die Hoffnung auf das Reich Gottes mit dem Kommen des neuen Jahrhunderts verknüpft. Das Religiöse und das Politische sind bei Lavater nie gänzlich getrennt.
Man ist versucht, ihn zu einem religiösen Sozialisten avant la lettre zu machen. Es klingt wie eine magische Beschwörungsformel, wenn Lavater zur flehentlichen Bitte auffordert: "Es komm!" Das gilt dem Reich Gottes UND dem neuen Jahrhundert, wobei kein Zweifel besteht, dass das Jahrhundert geprägt sein wird von den Fortschritten der Revolution.
Vermenschlichung Gottes
Das Reich Gottes ist für Lavater das Reich Christi. Christus ist die Vermenschlichung Gottes und prägt nicht nur den Einzelnen, sondern die Geschichte. Lavater hatte auf Grund seines Glaubens an die Menschwerdung Gottes die Überzeugung, dass sich in der menschlichen Geschichte, und so auch im neuen Jahrhundert, etwas verändern werde. Dieses optimistische, dem humanen Fortschritt verpflichtete Geschichtsbild verband ihn mit den Grundgedanken der Französischen Revolution.
Lavater schrieb 1793 an einen Anhänger Dantons, an Hérault de Séchelles, einen zornigen Brief, die Hinrichtung des Königs Louis XVI hatte ihn aufgebracht: "Ihr treibt Spott mit ... dem künfigen Jahrhundert". "Seit Nimrod" - das ist ein Unhold aus der Genesis - "bis auf Marat war die Welt nie so vieler Unmenschlichkeit unterworfen" wie jetzt.
"Seit dem Ihr Euren guten König umgebracht und gemordet habt auf eine unerhörte Weise und auf die despotischte Art, seitdem Ihr die Unverletzbarkeit verletzt habt, die ihr ihm versichert hattet, seitdem Ihr auf seine Verteidigung keine Achtung mehr schluget, seitdem Ihr im Geschmack der Lisabonischen Inquisition handeltet, seitdem Ihr, den Dolch in der Hand, zur Freiheit zwanget, seitdem Ihr die bewegliche Köpfmaschine an die Stelle der zerstörten Bastille setztet, seitdem man nichts mehr sagen oder schreiben darf, was man über den despotischen Königen sagen und schreiben durfte, seitdem zittere ich, wenn ich Euch von Freiheit reden höre". ¦¦ 1)
Hérault soll diesen Brief lächelnd mit den Worten beiseite gelegt haben: "Diese Leute in Zürich verstehen unsere Situation nicht." Hat Lavater nicht verstanden, was in Frankreich und im eigenen Lande vorging? Ich möchte dieser Frage in aller Kürze nachgehen.
Wie gesagt, Lavater hatte noch 1791 ein positives Bild von der Revolution. Er schrieb ein begeistertes Lied eines Schweizers zu den Ereignissen in Frankreich, fragt hoffnungsvoll, ob es denn wahr sei, dass kein Ministertigerzahn mehr des Landes Mark fresse. Es müsse in Frankreich auf das hinauskommen, was es in der Schweiz schon lange gebe - man denke an heutige Ratschläge der Schweiz an Europa!
Was Zürich tut...
Er lobt Freiheit und Brüderlichkeit der Schweiz und schreibt: "Wir sind schon Brüder, werdet es!" Das sollen die Franzosen hören, und: Freiheit gebe es nicht nur in den Kantonen, sondern er führe seinen eigenen Kirchsprengel in Freiheit, und auch sein Haus. Was Zürich tue, darauf sollen Frankreich und Deutschland hören!
Noch im April 1799 hält er eine Vorlesung über "Vorteile der Neuen Ordnung". Das neue System von Freiheit und Gleichheit werde in den "moralischen Eingeweiden" der Menschheit wirken. Es klingt fast wie Hegelsche Geschichtsphilosophie, wenn Lavater schreibt: Der Wuchergeist der Revolution werde "alles Gegebene auf die mannigfaltigste Weise umsetzen" ¦¦ 2). Obwohl er ein Feind der gewaltsamen Revolution sei, habe sie doch eine wohltätige Wirkung, die nie erstickt werden könne: die Menschenrechte, die Gleichheit des Menschen vor dem Gesetz, die Abschaffung der Geburtsvorzüge des Adels.
Er nennt die Privilegierung des Adels einen "Irrwahn" und hat volles Verständnis für die "Adelbeneidung" des Volkes. Wer vom christlichen Bürgerrecht im Himmel predige, müsse auch dafür eintreten, dass die Staatsbürger auf dem Land die selben Rechte erhalten, wie die in der Stadt. Es brauchte damals in Zürich einigen Mut, so aufzutreten! Er prangerte auch die Pfarrer an, die das sehr, sehr zögerlich oder gar nicht sagten.
Freiheit
Lavater verbindet die revolutionären Errungenschaften mit christlichen Hoffnungen und zitiert Bibelstellen, die in allen emanzipatorischen Bewegungen der Kirche wichtig wurden, bis zur feministischen Theologie (Galater 3,28 "Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann noch Weib;"). Und das Stichwort "Freiheit" ist es, welches ihn bei der neuen Bewegung besonders fasziniert.
Aber nun ist es der selbe Begriff, der in seinem Missbrauch das ganze Elend der neuen Ordnung offen legt. Lavater kann sich masslos erregen über ein helvetisches Dekret, das auf dem Briefkopf das Wort "Freiheit" trägt, und unten Befehle erlässt, wie sie beim König nicht ärger waren. Spätestens seit der Guillotinierung des Königs überwiegen die Verwünschungen der Revolution die positiven Aussagen.
Jetzt ist Gewalt im Spiel, bald auch Gewalt in der Schweiz, und das bringt Lavater zu äusserster verbaler Empörung. Er spricht von Terror, von Mord, von den Räuberbanden. Wenn er gegen Robespierre und Konsorten loszieht, so überbietet er sich in der Erfindung neuer verbaler Waffen, wie er überhaupt grossartig war im Bilden neuer Wörter. Er nennt sie: "Königsmordfestfeierer", "Inviolabilitätszusicherer" und "Inviolabilitätsviolierer", also solche, die Unverletzbarkeit zusichern und ihr Versprechen selbst verletzen.
An Klopstock schreibt er folgendes: "Noch mehr als aller Despoten Monarchismus verabscheue ich eine Mörderrotte, die mit aufgehobenen Dolchen Freiheit gebeut. Ich höre nicht gern eine Gassenhure ernsthaft von Scham und Keuschheit sprechen, aber noch weniger ein Prostibulum (Bordell) von Tyrannei und Freiheit. Ich weiss kein Beispiel der Geschichte, wo mit so satanischer Kaltblütigkeit leidenschaftlicher und regelloser gegreuelt worden sei als in diesen Tagen in Paris gegreuelt wird" ¦¦ 3).
Reformierter
reinsten Wassers
Die Frage, ob Lavater die revolutionären Ideen wirklich nicht verstanden hat, wie Hérault meint, muss ich übergehen. Ein kleiner Hinweis dazu geht von Lavaters Auslegung von Römer 13 aus, wo Paulus sagt, dass der Obrigkeit zu gehorchen sei, weil sie von Gott eingesetzt sei. Einerseits entdeckt man bei Lavater eine starke Obrigkeitshörigkeit, anderseits neigt er zu Widerstand und Ungehorsam gegen die Obrigkeit, wenn sie Gesetze und Befehle erlässt, die gegen das Gewissen sind. Hier erweist sich Lavater als Reformierter reinsten Wassers.
Lavaters Tätigkeit während der neunziger Jahre beschränkte sich aber nicht auf verbale Polemik. Er half mit bei der Linderung der Not, indem er z.B. französische Emigranten bei sich aufnahm und sein Haus beinahe zu einem Asylantenheim machte. Er fördert den Aufbau einer Hülfsgesellschaft für die kriegsgeschädigten Schweizer und setzte sich nach dem Franzosenüberfall von 1798 für das katholische Nidwalden ein.
(Schuss)-Wunden
Im September 1799 wurde er vor seinem Haus von einer französischen Kugel getroffen. Es ist bis heute ungeklärt, ob der Schuss zufällig losgegangen oder ob er bewusst auf den Mann gerichtet war, der gegen die Franzosen polemisierte. Jedenfalls hatte Lavater das Leiden nie gesucht. Da er aber wirklich litt, sah er sich auf dem Kreuzweg, den Christus gegangen war. So verwandelte sich ihm das Leiden zu einer neuen, hoffnungsvollen Lebensform. Es war ihm keine Frage, dass die Wunden, die er trug, Christi Wunden waren, und dass sie ihm nicht zum Verderben, sondern zum Leben zugefügt wurden.
So konnte er ausrufen: "Gottlob, ich lebe noch, und Gottlob, ich leide noch!" ¦¦ 4). Es fällt uns nicht leicht, dieser Leidensfreudigkeit zu folgen. Lavater war von der Idee durchdrungen, dass das Leiden nicht GEGEN ihn gerichtet sei, sondern anderen dienen sollte. So bat er, man möge ihm den Namen des Soldaten, der auf ihn geschossen hatte, nicht nennen, man solle seinem Namen auch nicht nachfragen, sonst würde er, Lavater, noch mehr leiden, sollte dem Soldaten etwas Übles zustossen.
Das war es wohl, was Lavater mit seinem eigenen Leiden bezeugte: Freiheit, die nur von Gott kommen und durch keine Revolution erkämpft werden konnte, die Freiheit vom Gesetz der Rache, die Freiheit vom Gesetz der Gewalt und der Ich-Sucht. So ist es wohl Lavaters selten erhofftes Ziel gewesen, dass Gott selbst die Revolution in den menschlichen Herzen und in den menschlichen Verhältnissen herbeiführen werde.
Komm oder .com?
"Es KOMME das neue Jahrhundert", ruft er aus, "es KOMME das Reich Gottes!" In Paris verstand man das auch nicht. Für das selten Gehoffte, von Gott Gehoffte hatte man dort jeglichen Sinn verloren. Und das war es, was Lavater im Innersten traf. Die Revolutionäre waren nicht nur Feinde der Kirche und der Priester, sie waren Gottesmörder. Dabei ist es Gott selbst, der in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen den Grund zu jeder wahren Veränderung gelegt hat.
DAS war es, was Lavater den Impuls gab, als Sterbender dieses hoffnungsgeladene Gedicht aufs neue Jahrhundert zu schreiben.
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1) Schreiben Lavater an Marie Jean Hérault de Sechelles, E. Staehelin IV, S.42f. ¦¦
2) Erwähnung einiger Vorteile und Nachteile, welche Moral und Religion von der neuen Ordnung der Dinge zu hoffen und zu fürchten haben, E. Staehelin IV, 5.194. ¦¦
3) Zit. bei O. Farner. Ein Kämpfer aus Liebe, Zwingliana X, 1954/58, 5.122. ¦¦
4) Zit. bei Kurt Guggisberg, Johann Caspar Lavater und die Idee der "Imitatio Christi", in Zwingliana VIII 1939/43, S.363. ¦¦
Bericht über Lavaters Verwundung, von ihm selbst diktiert.
Sie führte über ein Jahr später zu seinem Tod.
Gesucht: Lavaters Schädel
Ähnlich wie mit Ulrich von Hutten auf der Ufenau erlebte man 1973 bei der Öffnung von Lavaters Grab an der Kirche St.Peter im Zuge der Restaurierungs- und Grabungsarbeiten eine Überraschung. Die "Neue Zürcher Zeitung" veröffentlichte am 21.2.1974 den Kurzbericht des untersuchenden Anthropologen, Dr. Hu. F. Etter, dem erläuternde Bilder beigefügt sind.
Lavaters Grabstein
Der Grabstein ist an der Südseite der Kirche St. Peter leicht zu finden, aber ist Laverter wirklich dort begraben?
Fazit: Die gefundenen Gebeine gehören zu einem etwa 155 cm großen, zierlichen weiblichen Skelett mit Altersbuckel. Die Schädelform unterscheidet sich markant von allen Portraits, die von Lavater überliefert sind (Stirn, Nase, Unterkiefer). Außerdem waren der Frau, die an Zahnfäule litt, bereits zu Lebzeiten einige Zähne ausgefallen.
Die Lösung: da die Peterhofstatt seit 1782 nicht mehr als Friedhof benutzt wurde, war Lavater am 5. 1. 1801 auf dem St.Anna-Friedhof beigesetzt worden. Bei dessen Aufhebung 1881 wurden die als Lavaters geltenden sterblichen Überreste in einem Holzkästchen gesammelt und an der bis heute durch einen Grabstein bezeichneten Nordmauer von St. Peter erneut bestattet.
Nun zeigt sich: es ist nicht Lavater!
W.Baumann zufolge, der in seinem Artikel zur Peterhofstatt noch verwirrendere Untersuchungsergebnisse auflistet ("mindestens drei menschliche Individuen und ein Tierkiefer"), könnte es sich um den Schädel von Lavaters Ehefrau Anna Lavater-Schinz handeln, die ursprünglich im Kreuzgang des Fraumünsters beerdigt war. Aber wie soll sie in Lavaters Grab gelangt sein? Und wo ist Lavaters Schädel geblieben? Gar in einem phrenologischen Kabinett, was zum Physiognomik-Begeisterten passen würde?
Tabellarische Biographie bei carl-huter.ch/, einer Folge-Organisation Lavaterscher Gedanken,
aber auch bei lavater.uzh.ch/, der Website der Theologischen Fakultät zu Lavaters Werk.
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