Lieder
Zu J.C.Lavater's Liedern:
Lavater selbst war es, der in der Zürcher Maisynode 1785 nachdrücklich die Verbesserung des Kirchengesangs forderte und den Anstoß zum 1787 erschienenen "Christlichen Gesangbuch..." gab. Er selbst hatte vielerlei Psalmgesänge, " 50 Christliche Lieder "(1771; 1775 erweitert zur Sammlung "200 Christliche Lieder "), "Lieder für Leidende" und "Schweizerlieder" gedichtet.
Zu den ersten "Schweizerliedern" hatte den 26-jährigen Pfarramtskandidaten die Forderung eines Pfarrkollegen an der Sitzung der Helvetischen Gesellschaft in Schinznach 1766 ermutigt, "zur Erweckung tugendhafter Gesinnung im Volke die besten Taten der Väter in einfältigen Liedern darzustellen" (Bruppacher aaO. 212).
In das neue Deutschschweizerische Reformierte Gesangbuch von 1998 wurden aus dem bisherigen die folgenden drei Lavater-Lieder übernommen, die hier genauer betrachtet werden sollen, da sie interessante Einblicke in seine theologische Gedanken- und Gefühlswelt bieten.
* Lied 545:
Schöpfer, deine Herrlichkeit leuchtet auch zur Winterszeit
(in der Rubrik "Jahreszeiten")
* Lied 616:
Gott der Tage, Gott der Nächte, meine Seele harret dein
(in der Rubrik "Abend und Nacht")
* Lied 691:
Fortgekämpft und fortgerungen, bis zum Lichte durchgedrungen muss es, bange Seele, sein
(in der Rubrik "Vertrauen")
Im Vorgänger-Gesangbuch von 1952 fanden sich außerdem noch die folgenden vier Lieder, - auf die sich ebenfalls ein Blick lohnt, will man Lavater's Wirken und Wirkung tiefer verstehen und gerechter würdigen:
* Lied 135:
Ach, wiederum ein Jahr verschwunden
(in der Rubrik "Jahreswechsel")
* Lied 175:
Frohlock, mein Herz, weil Jesus Christ zum Himmel aufgefahren ist
(in der Rubrik "Himmelfahrt")
* Lied 193:
Sei gelobt und angebetet, unser Vater, Dank sei dir
(in der Rubrik "Dank-, Buß- und Bettag")
* Lied 233:
Jesus, Freund der Menschenkinder, Heiland der verlornen Sünder
(in der Rubrik "Abendmahl")
Im neuen Gesangbuch der Evangelischen Kirche in Deutschland von 1994 ist – auch in verschiedenen landeskirchlichen Anhängen – kein einziges Lieder von Lavater enthalten!
Quellen: Bruppacher, Th.: Gelobet sei der Herr. Erläuterungen zum Gesangbuch der evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz 1952; Basel o.J. (1953)
LAVATERS KIRCHENLIEDER:
Ach, wiederum
ein Jahr verschwunden
(Nur im Gesangbuch von 1952, Nr. 135)
Das Deutschschweizerische reformierte Gesangbuch, das 1998 ersetzt wurde, bot noch die Verse 1-3, 5, 13 und 14 dieses ursprünglich 14-strophigen, sehr persönlichen Lavater-Liedes zum Jahreswechsel, das 1771 entstand, als Lavater Diakon an der Waisenhauskirche war, also zur gleichen Zeit wie sein "Geheimes Tagebuch"!
Zuerst erschien das Lied unter dem Titel "Lied am Ende des Jahres" in seinen "Christlichen Liedern". Schon 1787 war es im Zürcher Gesangbuch enthalten (mit einer älteren, vom Zürcher Heinrich Egli umgestalteten Melodie) und im 19. Jahrhundert deutschschweizerisch verbreitet.
1. Ach, wiederum ein Jahr verschwunden,
ein Jahr, und kommt nicht mehr zurück.
Mit ihm, wie viele tausend Stunden
sind weg als wie ein Augenblick.
Weg meine Tugenden und Sünden.
Doch nein: der Richter aller Welt
läßt jegliche mich wiederfinden,
wenn er vor seinen Thron mich stellt.
2. Gedanken, Worte, Tatenheere,
wie, müßt ihr Gottes Licht nicht scheun?
Wenn ich dies Jahr gestorben wäre,
wo würd jetzt meine Seele sein?
Stünd ich verklärt bei Gottes Kindern?
Wär ich von seiner Lieb entflammt?
Wie, oder hätte mit den Sündern
der Allgerechte mich verdammt?
3. Den Gott, der täglich Leben giebet,
hat ihn mein Undank nie betrübt?
Den Gott, der ewig mich geliebet,
hab ich ihn redlich stets geliebt?
Lebt ich für ihn nach seinem Willen
stets als vor seinem Angesicht,
fromm öffentlich und fromm im stillen,
war ich ein Beispiel jeder Pflicht?
4. O Vater, du kennst meine Sünden;
wie viel sind ihrer nur dies Jahr.
Mit banger Scham muß ich empfinden,
wie oft mein Herz dir untreu war.
Ja, Vater, es ist Gnade, Gnade,
wenn du nur noch ein Jahr mir schenkst
und von der Sünden breitem Pfade
mein Herz zu deinem Herzen lenkst.
5. Verzeih den Undank, schenk Erbarmen,
gedenke meiner Sünden nicht
und zeig dem Reuigen und Armen,
der Gnade sucht, dein Angesicht.
Wie freudig will ich dann mein Leben
von nun an deinem Dienste weihn,
wie eifrig will ich mich bestreben,
durch deinen Geist ein Christ zu sein.
6. Ich danke dir für alle Gnaden,
die du dies Jahr der Welt erzeigt.
Ach, eil, das Elend abzuladen,
das noch der Armen Nacken beugt.
Und aller, aller Menschen Seelen,
die will ich, o mein Jesus Christ,
auf neue deiner Huld empfehlen,
der du ihr aller Heiland bist.
Das Gedicht, als Gemeindelied heute in der Tat kaum mehr brauchbar, zeigt selbst in der hier wiedergegebenen, auf mehr als die Hälfte verkürzten Form, einiges für Lavater außerordentlich Typisches:
Die überbordende Beredsamkeit des empfindsamen "Ich", der oft die dichterische Qualität zum Opfer fällt, kreist realistisch und schonungslos in fast ermüdend sich steigernden rhetorischen Fragen bohrender Gewissenserforschung um die eigene Unzulänglichkeit, stellt sich damit aber psychologisch einfühlsam der "Bilanz"-Situation in der Silvesternacht:
Wehmut angesichts der vergangenen Lebenszeit mit ihren versäumten Gelegenheiten und ihren Erlebnissen von Versagen; Beklommenheit im Bedenken des möglichen Lebensendes und Schauder vor dem gerechten Gericht Gottes prägen 4 von 6 der abgedruckten Verse.
Der reformatorische Grundton, gerade der Liebe Gottes nicht entsprechen zu können, verdient jedoch gegenüber allem aufklärerischen Optimismus nach wie vor Beachtung.
Mit - für Lavater bezeichnend unbetonter - Erwähnung des Heiligen Geistes (Vers 5; ursprünglich 13) mündet die Gewissenserforschung in die Hoffnung auf Gottes Gnade, dessen liebende Zuwendung neuen Anfang ermöglicht. Merkwürdig blaß bleibt hier die Rolle Jesu, der erst in der letzten Strophe (6; ursprünglich 14) angeredet wird. Und nur mühsam und schwach weitet sich der Blick des Beters hier noch auf die Not der Menschheit.
Gegenüber den späteren Liedern fällt außerdem auf, wie wenig biblische Bilder und Texte hier Lavaters selbstbezogene Beredsamkeit bestimmen; darin liegt eine der Schwächen dieser Dichtung.
Frohlock, mein Herz...
(Himmelfahrt)
(Nur im Gesangbuch von 1952, Nr. 175)
Das Deutschschweizerische reformierte Gesangbuch, das 1998 ersetzt wurde, bot noch 6 Verse dieses ursprünglich 10-strophigen, originellen Lavater-Liedes zum Himmelfahrts-Fest, das 1771 entstand, als Lavater Diakon an der Waisenhauskirche war, also zur gleichen Zeit wie sein "Geheimes Tagebuch"!
(vgl. zum Ganzen auch das "Mitternachtslied" Nr. 135 aus dem gleichen Jahr!)
Die Verse 2, 3 und 10 des Originals sind weggelassen, Vers 1 + 4 sind zum neuen 1. Vers verschmolzen (kursiv angedeutet), im übrigen ist der Text nicht redigiert worden.
Zuerst erschien das Lied im ersten Fünfzig seiner schließlich "Zweihundert Christlichen Lieder". Schon 1787 war es im Zürcher Gesangbuch enthalten.
1. Frohlock, mein Herz, weil Jesus Christ
zum Himmel aufgefahren ist,
der Todesüberwinder.
Er hat das große Werk vollbracht.
Sein ist die Weisheit, sein die Macht;
er ist das Heil der Sünder.
(zusammengezogen aus den ursprünglichen Versen 1+4)
(5.) Wie herrlich bist du, Herr, mein Heil.
Ich hab an deiner Klarheit teil;
für mich fuhrst du zum Himmel.
Du Hoherpriester, gehst mit Ruhm
für mich auch in dein Heiligtum:
Dir folg ich in den Himmel.
3. (6.) Du, dessen Wort die ganze Welt
allmächtig rief, allmächtig hält,
Herr, Herr, durch den wir leben:
so lang ich wall im Staube hier,
soll sich mein ganzes Herz zu dir
vom Staub empor erheben.
4. (7.) Entreiß durch deines Geistes Kraft,
die alles allenthalben schafft,
mein Herz dem Tand der Erde,
daß ich mit Mut vor deinem Thron,
Sohn Gottes und des Menschen Sohn,
im Kampf gestärket werde.
5. (8.) Ja du, du schaust auf mich herab,
du, der für mich dahin sich gab.
Laß dies mich stets ermessen.
Du kannst, obgleich du, Jesus Christ,
im Himmel aller Himmel bist,
doch meiner nicht vergessen.
6. (9.) Hab ich vollendet meinen Lauf,
so nimm mich in den Himmel auf,
daß ich dich, Jesus, sehe,
daß ich in deiner Herrlichkeit
von Ewigkeit zu Ewigkeit
vor deinem Throne stehe.
Wieder fällt die überschwängliche Gebetssprache auf, die sich zunächst an das betende Ich, dann aber nur noch an den zum Himmel aufgefahrenen Herrn richtet und mit immer drängender wiederholten Anreden und Verdoppelungen ("Ja du, du,...du", Vers 5) eine intime Zwiesprache und Nähe statuiert, über der die zwiespältige Welt und das schmerzliche Ferngerücktsein Jesu verschwinden.
Das reformierte "sursum corda" (Vers 3) entfaltet hier einen derartigen Sog, daß es weltflüchtig wird. Seelsorgerliche Bezüge, wie sie Lavater's spätere Lieder kennzeichnen (vgl. z.B. "Gott der Tage..." Nr. neu 616), sind über dem genialischen "Bei meinem Jesus Sein" zurückgedrängt.
Bemerkenswert ist auch hier wieder, daß der Heilige Geist nur einmal, in Vers 4, beiläufig erwähnt wird; in dieser Hinsicht scheint Zwinglis Erbe bei Lavater nicht sehr wirksam geworden zu sein.
Biblische Themen und Anklänge bleiben allgemein und blaß (Hebr 2,17; Joh 1; Ps 36); sie sind mehr durch die hymnisch-psalmartige Sprache bedingt.
Trotzdem sind die Jesus-Zentriertheit dieses Bekenntnisses, seine Zusammenschau von Schöpfer und Erlöser und die naive Heilsgewißheit ("Ich hab an deiner Klarheit teil...Dir folg ich in den Himmel", Vers 2) kritisch bedenkenswert - allerdings im Gespräch mit biblischen Texten wie Mk 10,35ff (Zebedaidenfrage) und Apg 1!
Sei gelobt und angebetet
(Dank-, Buß- und Bettag)
(Nur im Gesangbuch von 1952, Nr. 193)
An der Helvetischen Gesellschaft zu Schinznach 1767 hatte der junge Pfarramtskandidat "Schweizerlieder" vorgelegt, eine Sammlung von "historischen" und "patriotischen" Liedern. (vgl. die Einleitung in: "Lavater-Lieder").
Sie traf, "treuherzig-pathetisch, vom Glauben an den Menschen getragen" (Bruppacher, aaO 212), den Geschmack der Zeit und machte Lavater schnell und weit herum bekannt. In der 3. Auflage, die bereits 1768 nötig wurde, erschien unter dem Titel "Gebethlied eines Schweizers" dieses ursprünglich 15-strophige Lied, von dem das Deutschschweizerische reformierte Gesangbuch, das 1998 ersetzt wurde, noch ganze 2 Verse bot: dabei ist der 1. Vers aus dem Anfang der 1. und dem Schluß der 2. Originalstrophe zusammengefügt; die jetzige 2. Strophe gibt den ursprünglichen Schlußvers wieder.
1. Sei gelobt und angebetet,
unser Vater, Dank sei dir.
Hätt uns nicht dein Arm errettet,
unterjochet seufzten wir.
Aber der Bedrängten Flehen
hörtest du, o Herr der Welt;
ihre Not hast du gesehen,
ihre Tränen du gezählt. 2. Laß uns sein ein Licht auf Erden
und ein Beispiel steter Treu;
frei laß alle Völker werden
und zertritt die Tyrannei.
Gib, daß alle sicher wohnen,
bis die Zeit die Pforte schließt,
bis aus allen Nationen
eine nur geworden ist.
Th.Bruppacher (aaO) teilt noch die ursprüngliche 3. Strophe mit, in der sich der Stolz auf die "Väter" und die Gewißheit des "Gott mit uns" ausdrücken:
"Ihre Feinde tobten mächtig;
zahllos war ihr Mordgewehr;
wie ein Waldstrom wild und prächtig
rauschte hoch daher ihr Heer.
Ruhig sahn es unsre Väter,
weil mit ausgestreckter Hand
der Erhörer der Gebeter (!)
still bei ihrem Panner stand."
Sowohl aus inhaltlichen wie aus formalen Gründen ist es nur zu begreiflich, daß dies Lied nicht in das neue Gesangbuch aufgenommen wurde, - auch wenn die biblisch fundierten Bitten (z.B. Mt 5,14; Jer 15,21; 3.Mose 25,18; Jes 32,18; Jer 23,6; Mk 1,15; Joh 10,16) der Schlußstrophe so aktuell und unerfüllt sind wie je. "...bis aus allen Nationen / eine nur geworden ist", - das öffentlich zu erbitten, braucht ja offenbar auch heute noch einigen Mut. Im mir vererbten Gesangbuch-Exemplar einer (angeheirateten) Thuner Großtante steht unter dem Verfassernamen in roter Greisinnen-Schrift und dick unterstrichen: "Üse hochgeehrte Pfr. Lavater!" - Patriotismus und Lavater-Begeisterung sind also noch nicht so gar lange Zeit vergangen. Hier wurde dies Lied vorgestellt, um den Blick auf Lavater auch in dieser Hinsicht etwas abzurunden. Zu seinen übrigen patriotischen, durchaus sehr differenzierten, Auslassungen vgl. die Site des Huter-Verlages: http://www.carl-huter.ch/lavater/lebenundwerk.html ; dort besonders den synoptischen Abdruck des "Lied eines Schweizers über die Französische Revolution" von 1791 und der eigenen Parodie darauf von 1792!
Jesus, Freund
der Menschenkinder
(Abendmahl)
(Nur im Gesangbuch von 1952, Nr. 233)
Das Deutschschweizerische reformierte Gesangbuch, das 1998 ersetzt wurde, bot noch 7 Verse dieses ursprünglich 24-strophigen Liedes zum Abendmahl, dessen Kern wohl ebenfalls 1771 entstand, als Lavater Diakon an der Waisenhauskirche war, also zur gleichen Zeit wie sein "Geheimes Tagebuch"!
(vgl. zum Ganzen auch das "Mitternachtslied" Nr. 135 und das "Himmelfahrtslied" Nr. 175 aus dem gleichen Jahr! Auch der inhaltliche Vergleich mit den im aktuellen Gesangbuch noch enthaltenen Liedern ist höchst interessant: vgl. die Rubrik bei Lavaters Kirchenlieder (Übersicht).
Die Textgeschichte ist seltsam: In der Sammlung "Zweihundert Christliche Lieder" findet sich der Text ab Mitte des 3. Verses unter dem Titel "Lob und Dank sei dir, mein Retter (Lied nach der Communion)". Aber auch die jetzt als 1-3a vorangestellten Verse weisen in Stil und Inhalt auf ihn.
Älteste Quelle der jetzt vorliegenden Gestalt ist jedoch erst Schleiermachers Gesangbuch von 1829; der genaue Gang und Umfang der Bearbeitung bleibt vorläufig unklar.
In Vers 3 ist eventuell ein Bruch auszumachen, da in der ersten Hälfte anscheinend die Situation vor der Kommunion angenommen wird, dann aber folgt: "so gewiß ich Brot/Wein genossen", was zur Überschrift des ursprünglichen Liedes paßt (nach Th.Bruppacher, aaO. 251).
Damit wäre auch die Neudichtung der Verse 1 - 3a (vielleicht von Lavater selbst?) erklärbar: das Lied, das ursprünglich als Danklied post communionem geschrieben war, sollte so in der Abendmahlsliturgie universell verwendbar gemacht werden.
Die verschiedenen Text-Teile sind diesmal durch [ ... ] markiert.
[1. Jesus, Freund der Menschenkinder,
Heiland der verlornen Sünder,
der zur Sühnung unsrer Schulden
Kreuzesschmach hat wollen dulden:
wer kann fassen das Erbarmen,
das du trägest mit uns Armen?
In der Schar erlöster Brüder
fall ich dankend vor dir nieder.
2. Ja, auch mir strömt Heil und Segen,
Herr, aus deiner Füll entgegen.
In dem Elend meiner Sünden
soll bei dir ich Hilfe finden;
meine Schuld willst du bedecken,
mich befrein von Furcht und Schrecken,
willst ein ewig selges Leben
als des Glaubens Frucht mir geben.
3. Mich, den Zweifelnden, den Schwachen,
willst du fest im Glauben machen,
ladest mich zu deinem Tische,
daß mein Herz sich hier erfrische.] -
So gewiß ich Brot empfangen,
soll ich Heil in dir erlangen;
so gewiß ich Wein genossen,
ist dein Blut für mich geflossen.
4. Nun, so sei der Bund erneuet
und mein Herz dir ganz geweihet.
Auf dein Vorbild will ich sehen
und dir nach, mein Heiland, gehen.
Was du hassest, will ich hassen,
stets von dir mich leiten lassen;
was du liebest, will ich lieben,
nie mit Vorsatz dich betrüben.
5. Doch ich kenne meine Schwäche;
schwer ist, was ich dir verspreche.
Morgen, ach, ist oft gebrochen,
was ich heute dir versprochen.
Darum hilf mir du und stärke
mich zu jedem guten Werke.
Hilf, daß ich die Lust zur Sünde
durch dich kräftig überwinde.
6. Gib, daß ich und alle Christen
uns auf deine Zukunft rüsten,
daß, wenn heut dein Tag schon käme,
keinen, Herr, dein Blick beschäme.
Schaff ein neues Herz den Sündern,
mache sie zu Gotteskindern,
die dir leben, leiden, sterben,
deine Herrlichkeit zu erben.
7. Komm, die Juden und die Heiden,
Jesus Christus, bald zu weiden,
daß ein Hirt sei, eine Herde
bald aus allen Völkern werde.
Großes Abendmahl der Frommen,
Tag des Heils, wann wirst du kommen,
daß wir mit der Engel Chören,
Herr, dich schaun und ewig ehren?
Wieder handelt es sich um ein drängend-persönliches Gebet zum Herrn des Mahles, das in immer neuen Anrufungen die eigene Situation psychologisch einfühlsam und realistisch benennt. Dabei sieht sich Lavater als Einzelner durchaus eingebettet in die Gemeinde, die durch das Mahl konstituiert und verheißen wird.
Im 2. Teil der 3. Strophe nimmt er die 75. Frage des Heidelberger Katechismus' auf, wendet sie allerdings im "Brot"-Teil eigenwillig in die Zukunft: "...soll ich Heil in dir erlangen" statt "...ist sein Leib...für mich geopfert"!
In den Versen 6 + 7 weitet sich - selten bei Lavater - der Blick auf die Gemeinde und auf die Welt; biblische Grundworte, wie z.B. aus Hes 34,11ff; 36,26ff; Joh 10; 14 und Röm 11 bestimmen die Aussage.
Dem stehen wieder die naiv-selbstgewissen Aussagen des Jesus-seligen Ich gegenüber, die uns den Zugang erschweren und wohl mit zur Streichung dieses Liedes im aktuellen Gesangbuch geführt haben: "Nun, so sei der Bund erneuet..."(Vers 4) und "Gib, daß ich und alle Christen..." (Vers 6).
Andererseits mag man es bedauern, daß damit auch die Verse 1-3 (deren Herkunft ja unklar ist) nicht mehr zugänglich sind, - bündeln sie doch Grundbekenntnisse zum Abendmahl in verständlicher Form, -und vor allem: lassen sie doch mit "Mich, den Zweifelnden, den Schwachen..." auch Töne zu, die im Umkreis der Abendmahlslieder kaum zu finden sind, die aber gerade dem heutigen Gottesdienstbesucher entsprächen.
Daher wäre es reizvoll, in einer vergleichenden Liedpredigt (z.B. über das nach wie vor im 98er-Gesangbuch enthaltene Lied "O Leib, gebrochen mir zugut" Nr. 322, das einzige, das halbwegs vergleichbar wäre!) bzw. in meditierender Lektüre verschiedener Lieder zum Thema die eigene Abendmahlsfrömmigkeit zu klären.
Schöpfer, deine Herrlichkeit
(Nr. neu 545 / alt 100)
Erstmals erschienen 1775
in der Sammlung "200 christliche Lieder, zweites Hundert"
Von den ursprünglichen 10 Versen (gestrichen wurden 1, 2 und 4) sind hier 7 aufgenommen, die gleichen wie im Gesangbuch von 1952, wobei wie (fast!) immer die damals eingetragenen Textveränderungen rückgängig gemacht wurden (in markanten Fällen hier kursiv vermerkt).
1. Schöpfer, deine Herrlichkeit
leuchtet auch zur Winterszeit
in der wolkenvollen (~losen!) Luft,
in den Flocken, in dem Duft
(in dem Schnee, in Reif und Duft!).
2. Du bewahrst der Erde Kraft,
sparst der Bäume Nahrungssaft (Trieb und Saft!),
tust, wofür der Landmann bat,
deckst und wärmest seine Saat.
3. Der des Sperlings nicht vergisst,
sorgt noch mehr für dich, o Christ.
Gott sei dir in Hitz und Frost
Freude, Zuversicht und Trost.
4. Bleibe du, mein Herz, nur warm.
Ist ein Bruder nackt und arm,
sein soll meine Wonne sein,
(brich ihm liebevoll dein Brot!)
ihn soll warme Speis erfreun.
(lindre freundlich seine Not!).
5. Nach des Winters kalter Nacht
lebet alles, alles lacht;
Bäume, Wiesen, Wälder blühn,
und die dürre (fahle!) Welt wird grün.
6. Also blüht (So zieht an!) nach kurzer Zeit
aus dem Staub (unser Leib!) Unsterblichkeit.
Neu und umgeschaffen (neu verwandelt stehn wir!) einst
sind wir, wenn du, Herr (/wann du, Herr, mit Macht!) erscheinst.
7. Eile, Tag der Freud (Freudentag!), heran,
wo kein Frost mehr kränken (dem kein Winter folgen!) kann.
Sonne, die nie untergeht,
sei gelobet und erhöht.
Für Lavater bezeichnend sind auch in diesem originellen Winterlied die vielen biblischen Anklänge und Themen, die seine Aussage tragen und begründen (1 Mose 8,22; Ps147,16-18; Mk 4,26-29; Matth 10,29; Joh 12,24; 1 Kor 15,36-44).
Die Winterzeit als bedrückende Erfahrung von Erstarrung und Tod wird zum Gleichnis für Bewahrung (Vers 2), Lebensvorfreude (Vers 5) und Auferstehungs- und endzeitlichem Erlösungs-Jubel (Verse 6 und 7).
Ebenso typisch für Lavater ist die unvermittelte, seelsorgerlich ermutigende Anrede an den Mitsingenden: "...sorgt noch mehr für dich, o Christ. Gott sei dir..." (Vers 3), die in Vers 4 zur rührend-direkten Ermahnung (und Selbst-Ermahnung) führt: "Bleibe du, mein Herz, nur warm..., sein soll meine Wonne sein, ihn soll warme Speis erfreun". - Den Redaktoren von 1952 war das wohl zu naiv; sie dichteten es zum biblischen Zitat von Jes 58,7ff um. - Damit ging aber gerade etwas von Lavater's volkstümlicher Unmittelbarkeit verloren, die seine ungeheure Wirkung auf die Zeitgenossen wohl mit begründete!
Gott der Tage,
Gott der Nächte
(Abendlied)
(Nr. neu 616 / alt 93)
Unter dem Titel "Mitternachtslied" 1776 erschienen in der Sammlung "Zweites Fünfzig christlicher Lieder"
Als Gemeindelied wurde es zunächst 1791 in das deutsche Württembergische Gesangbuch aufgenommen; erst 1941 erschien es, textlich verändert, im Probeband zum Deutschschweizerischen Reformierten Gesangbuch von 1952. Von den ursprünglich 13 Versen verblieben 1952 noch 5; im neuen Gesangbuch von 1998 sind es noch 4: die vorher 4. Strophe wurde gestrichen; sie und die einzige rückkorrigierende Textveränderung sind im Folgenden kursiv kenntlich gemacht.
1. Gott der Tage, Gott der Nächte,
meine Seele harret dein,
lehnet sich an deine Rechte;
nie kannst du mir ferne sein,
Vater, nie dein Kind verlassen,
immer kann ich dich umfassen.
Deine weise Huld (Güt) und Macht
leitet mich bei Tag und Nacht.
2. Vater aller Menschenkinder,
Hüter deiner ganzen Welt,
der mit Langmut trägt die Sünder,
der die Schwachen führt und hält,
täglich Gutes zeigt und gibet,
immer segnet, alle liebet,
alle siehet, leitet, kennt,
allen alles Gute gönnt,
3. Vater, sende Mut den Schwachen,
Licht in jedes dunkle Herz.
Allen, die beklommen wachen,
mildere den heißen Schmerz.
Lass die Witwen, lass die Waisen,
Vater, deine Güte preisen,
gönne Kranken sanfte Ruh,
Sterbenden sei Tröster du.
4. O du treuer Menschenhüter,
Nacht ist vor dir wie der Tag.
Allgewaltiger Gebieter,
du verwandelst Schmerz und Plag
unversehns in Dank und Freuden.
Ach, laß alle, die jetzt leiden,
bald, erlöst aus ihrer Pein,
Deiner Vaterhuld sich freun.
4. (5.) Jesus Christus, manche Nächte
hast du für uns durchgewacht,
hast dem menschlichen Geschlechte
durch dein Wachen Ruh gebracht.
Den Geliebten gönnst du Schlummer,
linderst ihnen Sorg und Kummer;
schlafen oder wachen sie,
weichst du doch von ihnen nie.
Wie in "Fortgekämpft und fortgerungen" (Nr. 691), dem es auch thematisch sehr verwandt ist, fallen in diesem Lied wieder die vielen biblischen Bezüge auf: u.a. Ps 74,16; 121, 4; 1 Mose 32, 23-33; Mt 26,30ff; Apg 16,25. Ebenso wechselt es von der beschwörenden Anrede an Gott-Vater, die sich in den ersten 3 bzw. 4 Versen immer weiter steigert und ausweitet, in der (jetzigen) Schlußstrophe schließlich zur Anrufung Jesu als dem Stellvertreter, der in der dunkelsten aller Nächte in Gethsemane alle Verzweiflung der Menschheit auf sich genommen und den Kampf mit Gott (vgl. 1 Mose 32) bestanden hat. Und wieder zeigt sich, wie sehr Lavater das Seelsorgerlich-Tröstliche auszudrücken versteht, indem er die eigene kindliche Gewißheit realistisch auf die Not der Leidenden bezieht. So gewinnt aus der Fürbitte das betend singende Ich in der Besinnung auf die biblischen Verheißungen seine Gewißheit immer neu zurück. Von selbstgewisser Distanzierung gegenüber der "bösen Welt" ist hier nichts zu spüren. Das macht das Lied wertvoll, auch wenn uns die Sprache fremd geworden sein mag.
Fortgekämpft und fortgerungen
(Nr. neu 691 / alt 290)
Unter dem Titel "Stärkung in tiefer Dunkelheit" erstmals 1771 in "50 christliche Lieder" erschienen.
Die ursprünglichen 8 Verse wurden ungekürzt sowohl ins Gesangbuch von 1952 als auch in das neue von 1998 übernommen, wobei gegenüber dem Original eine bemerkenswerte Abschwächung in der Schlußzeile von Vers 8 beibehalten wurde (s.dort)!
1. Fortgekämpft und fortgerungen,
bis zum Lichte durchgedrungen
muß es, bange Seele, sein.
Durch die tiefsten Dunkelheiten
kann dich Jesus hin begleiten;
Mut spricht er den Schwachen ein.
2. Bei der Hand will er dich fassen;
scheinst du gleich von ihm verlassen,
glaube nur und zweifle nicht.
Bete, kämpfe ohne Wanken;
bald wirst du voll Freude danken,
bald umgibt dich Kraft und Licht.
3. Bald wird dir sein Antlitz funkeln;
hoffe, harre, glaub im Dunkeln.
Nie gereut ihn seine Wahl.
Er will dich im Glauben üben;
Gott, die Liebe, kann nur lieben;
Wonne bald wird deine Qual.
4. Weg von aller Welt die Blicke,
schau nicht seitwärts, nicht zurücke,
nur auf Gott und Ewigkeit.
Nur zu deinem Jesus wende
Aug und Herz und Sinn und Hände,
bis er himmlisch dich erfreut.
5. Aus des Jammers wilden Wogen
hat dich oft herausgezogen
seiner Allmacht treue Hand.
Nie zu kurz ist seine Rechte;
wo ist einer seiner Knechte,
der bei ihm nicht Rettung fand?
6. Schließ dich ein in deine Kammer,
geh und schütte deinen Jammer
aus in Gottes Vaterherz.
Kannst du gleich ihn nicht empfinden,
Worte nicht, nicht Tränen finden,
klage schweigend deinen Schmerz.
7. Kräftig ist dein tiefes Schweigen;
Gott wird sich als Vater zeigen;
glaube nur, daß er dich hört.
Kannst du selber nicht mehr beten,
so will Jesus dich vertreten,
und sein Bitten wird gewährt.
8. Drum so will ich nicht verzagen,
mich vor Gottes Antlitz wagen,
komm ich um, so komm ich um.
Doch ich werd ihn überwinden;
wer ihn sucht, der wird ihn finden
und bleibt Gottes Eigentum
(original hieß es:"Er bringt nur die Heuchler um"!).
Wieder fällt Lavater's starke Bibelbezogenheit auf, die ihn auch vor der schroffen Gerichts-Aussage am Schluß von Vers 8 nicht zurückschrecken läßt (Mt 23,13; 24,51). Gerade nach dem sich eindringlich steigernden Zuspruch von Gottes Hilfe, Gnade und liebender Zuwendung in allen übrigen Strophen bezeichnet Lavater damit den Ernst des Glaubens und vermeidet den Anschein, er predige "billige Gnade". Das sollte ehrlicherweise auch heute auszuhalten sein.
Wie auch in anderen seiner Lieder zu beobachten, wendet er sich als ehrlicher Seelsorger ebenso an sich selbst wie an das Gegenüber, dem er Mut zusprechen will. Hier bleibt die Anrede 7 Verse lang in der Schwebe; erst im Schlußvers sagt Lavater eindeutig "ich", als Antwort, die jeder nur persönlich wagen kann.
Wenn uns heute auch die "Empfindsamkeits"-Sprache fremd und verdächtig geworden sein mag, - als eines der wenigen Lieder, die den Zweifel und das Nicht-beten-Können ernst nehmen und ihm gegenüber auf die großen biblischen Ermutigungen hinweisen (hier z.B. 1 Mose 32,28; Jer 29,13-14; Esth 4,16; Mt 14,31; aber auch Röm 8,26-28), hat es zu Recht auch im neuen Gesangbuch wieder Aufnahme gefunden.
Bemerkenswert und zum kritischen Nachdenken anregend ist auch, wie Lavater sich und dem Zweifelnden in den Versen 1-5 Jesus als den liebenden Begleiter und machtvollen Retter (Mt 14,30ff) vor Augen malt, um dann ab Vers 6 mit dem Thema "Beten-Können / Gebetserhörung", ausgehend von Mt 6,6ff Gott-Vater in den Blick zu nehmen; der Sohn wird zum Stellvertreter für den Menschen, der nicht mehr beten kann, - er ist jetzt, wie auch sonst bei Lavater der "Bruder", der ganz nah beim Angefochtenen steht.
Einen gewissen - hilfreichen - Kontrast dazu mag die alte Melodie von 1715 bieten, die die Gedankenwelt von "Jesus Christus herrscht als König" assoziieren läßt und damit wieder gut zu den Versen 1-5 paßt. Das Martialisch-Marschtrittmäßige, das sich im Versmaß und in einzelnen Wendungen finden läßt, wird von ihr zum Glück nicht noch betont.
Inhaltlich und formal ähnlich ist Lavater's "Mitternachtslied" Nr. 616 Gott der Tage, Gott der Nächte (s.dort).
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